Anatomischer Präparierkurs: 137 Präpariervideos von Univ.-Prof. Dr. Ergün
16. Januar 2025
Univ.-Prof. Dr. med. Süleyman Ergün (Vorstand des Instituts für Anatomie und Zellbiologie der Universität Würzburg) hat 137 Präparationsvideos mit ca. 970 integrierten und beschrifteten Abbildungen produziert. Damit hebt er das Lernen am „Original“ mittels Videostreaming auf einer digitale Ebene, die Studierenden und Mediziner*innen unabhängig von Raum und Zeit Zugang zu dieser Praxis ermöglicht.
Univ.-Prof. Dr. med. Süleyman Ergün, stellen Sie sich gerne vor.
Ich heiße, Süleyman Ergün, habe 1989 das Humanmedizinstudium in Hamburg abgeschlossen und habe im Jahre 1993 am Institut für Anatomie der Universität Hamburg promoviert. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard Medical School im Jahre 1997 habe ich im gleichen Jahr im Fach Anatomie an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg habilitiert. Im gleichen Jahr habe ich bei der Ärztekammer Hamburg meine Facharztprüfung zum Facharzt für Anatomie erfolgreich abgelegt. Im Jahre 2005 habe ich den Ruf für den Lehrstuhl (W3-Professur) für Anatomie der Universität Duisburg-Essen erhalten und leitete diesen Lehrstuhl bis Dezember 2011. Nach einem nicht angenommenen Ruf für den Lehrstuhl für Anatomie der Heirich-Heine-Universität Düsseldorf im Jahre 2010 nahm ich den Ruf für den Lehrstuhl für Anatomie und Zellbiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg an und wechselte im Dezember 2011 nach Würzburg. Seit 2011 leite ich in meiner Eigenschaft als Vorstand das Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Würzburg. Meine Forschungsschwerpunkte liegen auf den Gebieten der kardiovaskulären Erkrankung und der Tumorvaskularisierung sowie insbesondere in den letzten 10 Jahren auf dem Gebiet der Stammzellbiologie und der Organoide.
Warum haben Sie sich dazu entschlossen Präparationsvideos zum Erlernen anatomischer Strukturen zu erstellen?
Das Lernen am „Original“ ist das wesentliche Merkmal und Ziel des sogenannten anatomischen Präparierkurses seit Andreas Vesalius, dem Begründer der neuzeitlichen Anatomie (1543), wodurch das morphologische Denken ein wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil der Medizin wurde. Mit den Videos wollte ich diesen Ansatz, nämlich Lernen am „Original“ mittels des Mediums Videostreaming auf einer anderen Ebene ermöglichen. Dadurch sollte nicht nur die Darstellung anatomischer Strukturen in Bildern und Graphiken, sondern auch die präparatorische Suche nach diesen Strukturen an echten menschlichen Präparaten den Nutzenden (Studierenden der Human- und Zahnmedizin sowie Ärztinnen und Ärzte) zugänglich gemacht werden. Das ist zugleich eine Erweiterung und Ergänzung der bisherigen Lehrmittel-Tools wie Lehrbücher und Atlanten der Anatomie.
Wie sind die 137 Präparationsvideos mit ca. 970 integrierten und beschrifteten Abbildungen aufgebaut?
Der Aufbau der Videos orientiert sich im Wesentlichen an dem Ablauf eines Präparierkurses in Präsenz und besteht aus 5 Themengebieten. Es beginnt mit dem Themengebiet 1, der Präsentation des passiven Bewegungsapparats, also den Knochen, Gelenken und der wichtigen Knochenstrukturen bzw. Punkte, die den Muskeln als Ansatz oder Ursprung dienen. Dem folgt das Themengebiet 2 mit Präparation und Präsentation der epifaszialen Strukturen sowie Leitungsbahnen (Nerven und Gefäße), von Muskeln, Nerven und Blutgefäßen des Halses, des Rumpfs (ventral und dorsal), der Becken und Gesäßregion, der oberen sowie der unteren Extremität. Im Themengebiet 3 erfolgt die präparatorische Vorstellung des Hals- und Thoraxsitus. Darauf folgt die präparatorische Präsentation des Themengebiets 4, nämlich des Bauch- und Beckensitus einschließlich der Geschlechtsorgane und des Beckenbodens. Im Themengebiet 5 erfolgt die Präparation und Darstellung des Gesichts mit mimischer Muskulatur, den Kaumuskeln und dem Mundboden, der Fossa infratemporalis, der Glandula parotidea und der Glandula submandibularis sowie den Leitungsbahnen dieser Region. Anschließend wird die Cavitas cranii eröffnet und nach Entfernung des Gehirns die Strukturen der Schädelbasis präsentiert. Dann wird die Orbita präpariert und der Inhalt mit äußeren Augenmuskeln und Nerven vorgestellt. Auch der Canalis nervi facialis wird präpariert und im Zuge der Präparation des Felsenbeins werden die Gehörknöchelchen, die Cochlea und die Bogengänge dargestellt. Zum Schluss dieses Themengebiets erfolgt eine groborientierende Präparation des Gehirns mit Hirnerven und Hirngefäßen.
Die Präparationsvideos ermöglichen den Studierenden nicht nur eine andere Perspektive in die topographische Anatomie des menschlichen Körpers, sondern auch ein besseres Verständnis anatomischer Strukturen durch die Visualisierung ihrer praktischen Präparation, wodurch sowohl der Weg zu diesen Strukturen als auch ihre engen nachbarschaftlichen Verhältnisse zu anderen Organen und Leitungsbahnen dynamisch sichtbar gemacht werden. Die eingefügten beschrifteten Standbilder erfüllen teilweise die Funktion eines integrierten anatomischen Atlanten, geben zugleich einen Einblick in die präparierten Strukturen abhängig von dem jeweiligen Präparierfortschritt.
In welcher Phase des Medizinstudiums sind die Präparationsvideos besonders hilfreich?
In erster Linie sind die Studierenden der Human- und Zahnmedizin in dem vorklinischen Abschnitt ihres Studiums die Zielgruppe dieser Lehrvideos. Aber auch Studierende in höheren klinischen Semestern, z.B. im praktischen Jahr (dem letzten Jahr des Medizinstudiums) sowie auch junge Ärztinnen und Ärzte können von diesen Videos profitieren, um ihre anatomischen Kenntnisse aufzufrischen.
Warum sind diese Inhalte auch für praktizierende Mediziner*innen nützlich?
Die jungen praktizierenden Ärztinnen und Ärzte brauchen genaue anatomische Kenntnisse nicht nur bei körperlicher Untersuchung von Patientinnen und Patienten, sondern insbesondere auch in der Interpretation und der Befundung der klinischen Bildgebung, wie der konventionellen Röntgenaufnahmen, der MRT- und CT-Bildgebung sowie der Ultraschalldiagnostik. Ebenso sind eingehende anatomische Kenntnisse auch bei chirurgischen Operationen sowie bei minimalinvasiven Eingriffen unerlässlich. So bilden klinisch-anatomische Kurse mit Training operativer Eingriffe und gezielter Injektionen anhand anatomischer Präparate einen wesentlichen Bestandteil ärztlicher Fort- und Weiterbildung. Die Präparationsvideos können auch hier als Lehrmittel für Vorbereitung auf oder Nachbereitung nach solchen Kursen eingesetzt werden.
Weshalb sind die Präparationsvideos von Körperspenden hilfreicher zum Erlernen anatomischer Strukturen als animierte Inhalte?
Die digital aufgearbeiteten und animierten Inhalte geben einen guten Einblick in die topographische Lage von Knochen, Muskeln und Organen sowie über den Verlauf der zugehörigen Leitungsbahnen und sind damit hilfreiche Lehrmittel für Studierende. Die hier vorgestellten Präpariervideos ermöglichen dies ebenfalls, und zwar am „Original“ und ermöglichen zudem all diese Strukturen in ihrem natürlichen Gewebekontext wahrzunehmen. So sehen die Leitungsbahnen, wie Gefäße und Nerven nicht als farblich kodierte fadenförmige Strukturen, sondern in ihrer natürlichen Gefäß-Nerven-Straßen mit dem umgebenden Fett, Bindegewebe und ggf. einer Faszienumhüllung. So erscheint eine Faszie in den Präpariervideos nicht als hellgraue Linie oder Struktur, sondern in ihrer biologischen Textur und je nach Organ- oder Körperabschnitt manchmal hauch dünn und durchsichtig, jedoch woanders wiederum deutlich stärker mit erkennbaren Faserstruktur. So sind Muskeln und ihre Übergänge zu jeweils dazu gehörenden Sehnen so komplex und vielfältig gestaltet, dass sie erst am „Original“ richtig gesehen und demonstriert werden können. Die stellenweise durchsichtige Konstruktion der Herzklappen oder die Struktur des Herzmuskels und der Herzkranzgefäße kann ebenfalls erst am „Original“ besser verstanden und begriffen werden. Die Liste solcher Beispiele, wo das Lernen am „Original“ zusätzliche Vorteile fürs Lernen und vor allem für ein besseres Verständnis über anatomische Strukturen ermöglicht, ist lang kann hier nicht komplettiert werden.
Wie können die Präparationsvideos am besten mit anderen Anwendungen in ClinicalKey Student wie anatomischer Atlanten, Lehrbüchern und Online-Tools kombiniert werden?
Wie oben in den Antworten zu den vorangehenden Fragen bereits teilweise erläutert, sind die Präparationsvideos als Erweiterung und Ergänzung bisheriger Lehrmittel für Anatomie, wie Atlanten, Lehrbücher und diverser Online-Tools zu sehen. Die Videos vereinen verschiedene Optionen in sich, wie die praktische Präparation und Demonstration anatomischer Strukturen in Anlehnung an einem Präparierkurs als Präsenzveranstaltung, beschriftete Standbilder (Screenshots) und Graphiken mit Funktion eines Atlanten und eine detaillierte und umfangreiche Zusammenstellung anatomischer Begriffe und Strukturnamen in dem begleitenden Skript, die einen wichtigen Leitfaden beim Selbstlernen der Anatomie in Vorbereitung auf mündliche Prüfungen und zugleich für Selbstkontrolle des Erlernten darstellen.
Univ. -Prof. Dr. med. Ergün
Mediziner und Anatomieprofessor sowie Vorstand des Instituts für Anatomie und Zellbiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Wird in neuem Tab/Fenster geöffnet